Es hätte ein guter Tag werden können. Ich wollte mir nur schnell eine Überweisung bei meinem Hausarzt holen. Sah schon komisch aus, Parkplatz leer, die Rollläden runter. Mir kam ein Junge entgegen „Wollen sie zum Doktor?“, ich nickte. „Der ist sehr krank, der kommt wahrscheinlich nicht mehr“. Ich schaue ihn fragend an. „Er hat wohl Bauchspeicheldrüsenkrebs“, sagte er. Innerlicher Aufruhr „Wie, was, warum, das glaub ich nicht!“ Kein Wort konnte ich sagen. Gestern war ich wieder da, um zu schauen, wann ich meine Unterlagen abholen kann. Niemand da, das Schild haben sie schon abgehängt.
Die Frage nach dem Sinn
Ich denke öfter an ihn und das Warum. Da kann man nichts machen, das passiert, man kann es nicht beeinflussen und man kann es nicht voraussehen. Ein Todesurteil, einfach sehr viel Pech.
Das kann der menschliche Geist nicht begreifen oder er will es nicht begreifen. Der Zufall. Wer darf leben, wer muss sterben. Wozu die ganze Hatz, wenn letztendlich der Zufall entscheidet. In welchem Ausmaß bestimmen wir wirklich selbst?
Viele Dinge passieren, Schlechte, Gute, Geplante und Ungeplante, Merkwürdige und Unmögliche. Überlege, wie du andere Menschen triffst, bekannte oder noch unbekannte, scheinbar zufällig; eine Minute später oder früher, und ihr wärt euch nie über den Weg gelaufen. Wie viele Zufälle bestimmen dein Leben?
Tage, die überraschende Wendungen oder Impulse bringen. Wenn Dinge passieren, zufällig, nicht in deiner Hand, und die Folgen manchmal ausschlaggebender als alles, was du willentlich entscheidest. Wie viel leben wir unser Leben und wie viel werden wir gelebt, vom Zufall hin und her geworfen. Das macht Angst. Er ist nicht greifbar. Er ist nicht kontrollierbar. Und doch ist der Zufall scheinbar so mächtig. Ist alles mehr oder weniger Zufall zwischen Zeugung und Tod?
Wir suchen Gründe, den Sinn, die Ordnung, versuchen Zusammenhänge zu erkennen, wo keine sind. Die Sehnsucht nach Antworten kann niemand befriedigen, vielleicht gibt es einen kleinen Anker, vielleicht gehst du am besten mit dem Flow.
Der freie Wille nur eine Illusion? Welche Macht hat der Zufall? Kontrolle nur eine Illusion?
Philosophen von Demokrit bis Nietzsche haben den freien Willen vor langer Zeit schon verneint. Jetzt steht dieser Ansicht auch immer mehr die Hirnforschung bei, die sagt:
Der freie Wille ist eine Illusion.
Der freie Wille ist selbstbestimmtes Handeln. Denken, Beurteilen, Abwägen von Handlungsmöglichkeiten, sich bewusst für oder gegen etwas entscheiden. Das ist eine Illusion?
Menschen mit vermeintlich sehr starkem Willen sind von großem Ego Getriebene. Letztendlich geht es bei dem Erreichen der eigens bestimmten hohen Zielsetzungen um die Belohnung durch das Erreichen.
Die Aussicht auf Belohnung ist der Treibstoff für das Ego. Aus dieser Sichtweise sind die Willensstarken die vermeintlich Unfreiesten.
Es wird deutlich, wir müssen äußere und innere Zwänge mit einbeziehen.
Wie bewusst sind wir bei unseren Handlungen?
Eine Sache, bei der wahrscheinlich jeder schon die Willensfreiheit angezweifelt hat, ist die Liebe.
Du kannst dir nicht aussuchen, wen du liebst. Oft passiert es einfach. Die Handlungskonsequenzen kannst du eventuell noch selbst bestimmen, oder doch nicht? Wenn wir verliebt sind verhalten wir uns oft wie Idioten, tun Dinge, die wir sonst nie täten. Aber vielleicht bist du auch nur programmiert, deine Gene bestmöglich weiterzugeben.
Wenn es keine Willensfreiheit gibt, was ist dann mit Selbstverantwortung? Wie können wir dann noch für unser Handeln verantwortlich gemacht werden?
Die Diskussion über Willensfreiheit wird durch wissenschaftliche Experimente befeuert, die zeigten, dass die unbewusste Entscheidung bereits Sekunden vor der bewussten Ausführung getroffen wird. Wissenschaftler ermitteln neurale Aktivität im Gehirn durch funktionale Magnetresonanztomographie.
Das ist alles, das soll der Beweis für fehlende Willensfreiheit sein?
Natürlich nicht, diesen bemühten Experimenten sollten wir nicht zu viel Wert beimessen. Man muss sich im Klaren sein, die Wissenschaft weiß über das Gehirn so gut wie nichts. Weder das Unbewusstsein noch das Bewusstsein kann von der Hirnforschung erklärt werden. Man kann der Wissenschaft auch nicht zum Vorwurf machen, sich nur auf die messbaren Prozesse im Hirn zu reduzieren. Gäbe es noch etwas anderes, nicht messbares, ein immateriellen Geist, würde das zu keinem Ergebnis mehr führen. Aus ihrer Sicht also richtig.
Auch die psychologische Forschung sagt, dass wir weniger frei sind, als wir glauben.
Der freie Wille ist also Definitionssache.
Wäre der Wille frei, müsste er unbeeinflusst von inneren und äußeren Einflüssen oder Zwängen sein. So gesehen besitzen wir keine Willensfreiheit.
Das Handlungen neuronale Prozesse vorausgehen, braucht man nicht infrage zu stellen. Wie diese funktionieren hängt davon ab, wie der Mensch sich entwickelt, durch Lernen, Erfahrungen, Sozialisation; auch Genetik wird hier eine Rolle spielen. Daraus zu schliessen, das wir Marionetten sind, ist zu weit gegriffen.
Um Entscheidungen zu treffen, werden Informationen benötigt, auf diese zuzugreifen ist laut der Hirnforscher von vielen unbewussten Motiven beeinflusst und geschieht nicht bewusst.
Wir fühlen uns frei, wenn wir tatsächlich nur eine Entscheidung treffen, die unbewusst auf einen Pool vorgefertigter Handlungsmöglichkeiten zurückgreift.
Nimmt man die bewusste Abwägung und Entscheidungsmöglichkeit an, greifen wir dennoch auf Strukturen zurück, die bereits in uns sind. Im Wechselspiel mit äußeren Faktoren kann das wiederum neue Handlungsmöglichkeiten ergeben. Alles in allem komplex und nicht bis ins Letzte durchschaubar, was zum Willen führt.
Alle haben recht. Wir fühlen uns freier als wir sind, absolute Handlungsfreiheit gibt es nicht.
Hier stehe ich nun, mit meinen Unterlagen. Durch die Tür bin ich wohl das letzte Mal gegangen. Gefällt mir nicht. Was machen wir, wir sagen „Auf Wiedersehen“, begraben die Toten und machen weiter. Das ist eine Entscheidung, die getroffen werden muss. Eigentlich ist es keine, denn sonst hätten wir ja eine Wahl. Nun, wir haben die Wahl weiter zumachen oder zu versinken, aber diese Wahl haben wir immer. Der freie Wille und der Zufall werden mich noch eine Weile beschäftigen.
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